Cottidianus

1. 

 
7’26”
Facinus
(From "" Enigmas from the no more New World" for Piano
2. 
 
9’38”
3. 
Los Angeles
12’13”
4. 
Philadelphia
9’04”
Dialoghi
5. 
Calmo ma camcambiando
2’26”
6. 
Vezzoos
3’16”
7. 
Delirando
4’34”
Cinq Pièces Sur Une Série
8. 
Quasi ein bulgarischer Tanz
2’14”
9. 
Lied ohne Worte
4’04”
10. 
Rhythmische Wandlungen
1’15”
11. 
Alter Gesang (Choral)
3’23”
12. 
Toccata
3’56”
Eufonie
13. 
 
3’15”
14. 
 
4’05”
15. 
 
2’33”
16. 
 
1’06”

 

"Cottidianus"
"Facinus"
"Dialoghi"
"Cinq Pièces Sur Une Série"

"Eufonie"

 

AB 2251

(74’37”)

        1: Maja Jokanovic
        2: Roberto Fabbriciani
   5 - 7: Eckart Schloifer
  8 - 12: Dieter Brauer
13 - 16: Fernando Grillo

 


COTTIDIANUS Nr. 1 für Violine solo mutet wie ein Ca p ric c io an : eine tägliche (lat. ; cottidianus = täglich ) spieltechnische Übung zur Verwendung von Mikrointer - vallen in verschiedenen Erscheinungsformen , ohne dabei nur auf dem Niveau der rein instrumentalen Technik zu bleiben. Diese Komposition ist vor allem eine Klang vision, die der Solist mit seinem f antasievollen Spiel gestalten und aus eigenem Erleben diese dem Hörer suggerieren soll. N.B. (1977)

( Uraufführ ung: 1982 am Internationalen Festival “Aspekte“ in Salzburg. )

FACINUS Nr. 1 für flöte(n) (ein Spieler). In diesem Stück nehmen Piccolo-Flöte, Flöte in C, Flöte in G, Bass-Flöte & Lotos-Flöte Teil - alle zusammen, als ob es ein großes, komplexes Instrument wäre. Der Instrumenten-Wechsel (lat.: facinus = Handlungen ) wird von musikdramaturgischen Notwen­digkeiten und Zusammenhängen diktiert. Die Entwicklung einer Phrase geht manchmal von einem in ein anderes Instrument über, syntaktisch verschiedene Teile werden durch schnel-le Instrumentenwechsel organisch verbunden oder in ihrer Unterschiedlichkeit nuancenreich kontrastierend einander gegenüber gestellt.

Die Erweiterung der spezifischen Möglichkeiten jedes Musikinstrumentes betrach-te ich als eine Notwendigkeit und Herausforderung, um sein Ausdruckspotential zu vergrößern. Der Zwang der musikalischen Logik des Komponisten, aber vor allem seine schöpferische Fantasie und sein Wille spielen dabei eine entscheidende Rolle. Andererseits können auch von den Interpreten wesentliche Bereicherungen zu der Werkrealisation kommen. Hin und wieder sucht der Komponist nach einer Erweite-rung der bis dahin bekannten spieltechnischen Grenzen eines Instrumentes, weil die

Realisierung gewisser musikalischen Vorstellungen innerhalb dieser Grenzen nicht möglich ist. Dennoch hat dieser Komplex seine Tücken, denn ein Streben als Selbst-zweck, aus einem Instrument um jeden Preis nur „Neues“, „bis-jetzt-noch-nicht-Gehörtes“ herauszuholen, könnte verleiten, sich in ein unergiebiges Spiel zu verlieren, das zur Krisis in der Musik und der Musikästhetik führen kann (so kann man selbst in eine Krise geraten). In dem Moment, in dem man glaubt, etwas Neues, ‚Einzigartiges' entdeckt zu haben (nicht selten ereignet sich dies überwiegend auf der Oberfläche, betrifft sekundäre Parameter), experimentieren in ähnlicher Weise

in verschiedenen Ländern auch andere Komponisten und diese „ Neuigkeit “ ist

längst nicht mehr neu. Denn die akustischen Phänomene, durch ihre immanenten Eigenschaften bedingt, haben ihre gesetzmäßigen Grenzen und Spezifikum. Wenn die Neuerungen aber die Musik in ihrer Wirkung in den tieferen Schichten des menschlichen Geistes, Denkens und Fühlens betreffen, wären dann die physisch-akustischen Grenzen unseres Wahrnehmens verschiebbar, weil die Potenzen des menschlichen Denkens/Fühlens (die oft für geringer gehalten werden als sie in der Tat sind) und die entsprechenden biologischen Grenzen erweitbar sind.

Bei der Suche nach Erweiterung der herkömmlichen Gestaltungs-Möglichkeiten des jeweiligen Instrumentes in verschiedenen Werken und Werk-Reihen für Soloinstrumente werde ich nicht nur von deren akustischen Eigenschaften, sondern auch durch langjährige Forschung der Balkanfolklore mit ihren gegenseitigen Einflüssen und Verflechtungen mit der jüdischen, indischen, arabischen, türkischen Folklore angeregt. So verwende ich hier z.B. Tongruppen, deren variabel permutie-rende Wiederholungen auf alten Volksmusizier-Praktiken beruhen. Auch verschie-dene Arten, einen Ton oder eine Melodielinie durch Impulse, Einschübe, Umspie-lungen, veränderbare Tonerzeugung u.a.m. zu färben, zu transformieren, zu beleben, wären meistens als stilisierte und verfremdete Folklore-Elemente und -Praktiken zu sehen. Zumal die Flöte, mit ihrer Herkunft in der Antike Asiens und einer langen Entwicklungsgeschichte für solches Experimentieren prädestiniert ist. N.B. (1977)

(Uraufführung: 1978 in Venedig, Italien.)

“Enigmas from the no more New World for Piano” (Enigmas von der nicht mehr Neuen Welt). Faszination, Nachdenken, vielseitige Eindrücke während meines ersten USA-Aufenthaltes. Composer-in-Residence in Kalifornien und danach eine ausgedehnte Reise von der West- zu der Ost-Küste. Es hat sich vieles aus der weiten Welt in diesem Land gesammelt. Spätestens seit dem Ende des 2. Weltkrieges ist Nordamerika durch verstärkte Welt-Kommunikation keine Neue Welt mehr , jedoch eine mit vielen Rätseln noch. Daher der Titel dieses siebenteiligen Zyklus. Sieben Stücke - sieben Stationen meiner ersten USA-Reise, sieben verschiedene Observationspunkte für „Berühren“ und Erleben eines gewaltigen Landes: San Francisco, Djerassi Foundation/Stanford University, Los Angeles, Washington, Philadelphia,

New York , Boston . Dies ist keine Programm- oder gar „Souvenir“-Musik. Es ist ein rätselhaftes ‚Amalgam' aus verschiedenen Empfindungen, Stimmungen, Gedanken, ein Vermischen von Subjektiv/Objektiv, Außenschwingungen/Innenschwingungen. Die einzelnen Stücke habe ich 7 Komponisten-Persönlichkeiten gewidmet, die ich persönlich kenne und besonders schätze: (der Reihenfolge der Stücke nach) John Adams , K.H. Stockhausen, G. Ligeti, P. Boulez, W. Rihm, L. Bernstein, G. Kurtág. N.B. (1987) ( Urauff ührung: 3 Stücke daraus - 1991 in der Akademie der Künste Berlin im Rahmen der Berliner Festwochen .)

DIALOGHI per Viola sola gehören zu einer, zum Teil realisierten Reihe von Werken für Soloinstrumente, in denen ich eine Erweiterung der spieltechnischen Möglichkeiten des jeweiligen Instrumentes anstrebe, freilich im Zusammenhang sowohl mit den spezifischen Parametern des Instrumentes und deren Ausdehnung als auch mit der Dramaturgie des Werkes.

Der Reichtum der Folklore, ihre Originalität und die vielen Unregelmäßigkeiten in ihr korrespondieren mit der Syntax der neueren Musik wesentlich besser als mit dem traditionellen akademischen Musikdenken und fügen sich mit dem Großteil der Gestaltungsmittel der Neuen Musik organisch zusammen. Eine Verschmelzung zu schaffen zwischen Gegenwarts-Musikdenken, -Empfinden und -Aussage (umgesetzt durch entsprechende Ausdrucksmittel) und der Balkan-Folklore am Kreuzwege mehrerer Kulturen - dies spornt meine Kreativität an. Auch das musikantische Empfinden und das Erleben, sowie ein stetes Bestreben, unabhängig zu sein von Modeströmungen und Vorschriften, gar Dogmen, haben einen hohen Wert für mich.

Am Anfang des ersten Satzes der „Dialoghi“ - Calmo ma cambiando (ruhig, aber wechselnd) - komplettiere ich eine Melosphrase bis hin zu einer Zwölftonreihe, die fortlaufend mit Mikrointervallen bereichert wird und als wesentliches Material auch für die anderen zwei Sätze - Vezzoso (graziös) und Delirando (fantasierend) - dient. Die kompositorische Arbeit mit dieser Reihe wird häufig von stilisierten Elementen und Strukturen - ein Teil von denen ist mit der Anfangs-Melosphrase verwandt - durchkreuzt.

Der Titel „Dialoghi“ weist auf die Intention (in dieser wie auch in anderen meiner Kompositionen) hin, szenische Situationen und Konversation entstehen zu lassen. Dies wird zum Teil mittels raschen Wechsels der Tonlage, verschieden er Klangfar-ben und spieltechn ische r Ar ten , wie auch der oben genannten unterschiedlichen Musik-Denkweisen erreicht. Dabei bildet sich e ine variable verdeckte Polyphonie” , die in ein er Verwandtschaft mit Ähnlichem in de n Sonaten und Partiten für Solostreich instrumente von J.S. Bach steht . „Dialoghi“ sind im Auftrage Walter Felsensteins für die Konzertreihe in seiner Komischen Oper in (Ost)Berlin 1973 entstanden. Diese Kompostion - von der auch eine Version für Violine solo gibt - ist der italienischen Kunst - Stadt S ie n a und ihrer Accademi a Musicale Chigiana gewidmet. D urch „Dialoghi“ i nspiriert , hat der in Berlin lebende Maler I.Pawlo v ein Gemälde geschaffen. N.B. (1973)

(Uraufführung: 1975 in der Komischen Oper Berlin im Rahmen der 5. Biennale für Zeitgenössische Musik .) /„Dialoghi“ wurde n mit dem Internationalen „ Viotti “- Kompositionspreis 1978 in Vercelli, Italien ausgezeichnet. /

CINQ PIÈCES SUR UNE SÉRIE pour Piano (Fünf Klavierstücke über eine Zwölftonreihe). Der Bitte der Kollegen von der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, etwas für die Studenten zu schreiben, habe ich mit diesen Klavier-stücken und dem Klavierzyklus „Fünf Aspekte und Entwicklung eines Obrases (Gestalt)“ entsprochen. Bereits in den Anfängen meiner Auseinandersetzung mit der Zwölftonmusik wollte ich einen selbständigen Gebrauch dieser Ästhetik realisieren, also den von der 2. Wiener Schule formulierten Kompositionsregeln nicht sklavisch zu gehorchen. /Da die Zwölftonmusik in der DDR (wie auch in den anderen so genannten sozialistischen Ländern) offiziell verboten war, reizte es mich um so mehr, sie in diesem Klavierzyklus wie auch in anderen Stücken anzuwenden. N.B. 2002/. Hier wird eine Zwölftonreihe in den charakterverschiedenen Stücken unterschiedlichen Verwandlungen unterzogen. Die einzelnen Titel sind: Quasi ein Bulgarischer Tanz - Lied ohne Worte - Rhythmische Wandlungen - Alter Gesang (Choral) - Toccata. N.B. (1969) (Urau fführung: 1969 in Jena/Thüringen)

5-1 EUFONIE per Contrabasso solo ist ein anderes Glied jener, teilweise realisierten und für solo Instrumente vorgesehenen Reihe, in der ich neue gestalteri-sche, klangliche und spieltechnische Möglichkeiten für das jeweilige Instrument er-schließen möchte. Der Zyklus „5-1 Eufonie“ beginnt wie aus dem Nichts kom-mend, als ob etwas aus der Luft gefangen wird und verschwindet am Ende wie eine Vision wieder in die Unendlichkeit. Der Begriff Euphonie (griech.: = Wohlklang ) soll natürlich relativ und als stark kulturen- bzw. epochenabhängig gesehen werden. Warum sollte er auch in der Neuen Musik nicht einen Platz finden?

Eine wesentliche Anregung für das Bilden des Musikmaterials und die Arbeit mit ihm kommt hier aus der Mathematik, nämlich die Idee der arithmetischen Progres-sion (fortlaufend eine Einheit wegnehmen oder hinzufügen). Bereits der Hinweis im Titel auf die von 5 auf 4 reduzierten Sätze deutet scherzhaft auf diese Idee hin. Mit ihr ist auch das Bewegen, das Umspielen um eine Tonhöhe zu verbinden. Die Palette der graduierten Entfernungen von der Zentraltonhöhe ist reich an Mikrointervallen (Vierteltönen und noch engeren Intervallen bei den Glissandi ). Die variablen Glissandi sind für mich generell, wie z.B. auch in meinen elektronischen Kompositionen Rotation und Phönixe , keine koloristische Verzierung als Selbstzweck, sondern eine Andersteilung des Oktavenraums. E ine fragmentierte Hervorhebung des Klanges und seiner Segmente könnte deutlicher, präziser erreicht werden. Das Glissando mit den vielen Formen seiner Realisation erhält eine neue, morphologische Funktion. Die Glissandi erscheinen in kleinem oder großem Tonraum, mit variabler Geschwindigkeit, ein- oder mehrstimmig, in verschiedenen Farben: sul ponticello, Flageoletts, Doppelflageoletts, das Umstimmen der Saiten - in diesem Falle: am Ende des 1.Satzes der tiefsten, der E-Saite zum Es - usw. Es kommt auch zu einer Kreuzung mit (Mikro)Elementen aus der bulgarischen Folklore. Die Kontinuität der Entwicklung wird durch Kontrast-Momente unterbrochen: z.B. die Arpeggio-Läufe im 2. Satz oder im Dritten das Spielen auf dem Steg bzw. dem Saitenhalter (was man durch eine visuelle Rezeption besser wahrnehmen kann) mit kurzen Melos- und anderen Klanggebilden.

Die gewissen aleatorischen Freiheiten, die dem Interpreten eingeräumt sind, ermöglichen eine Flexibilität im Dienste eines wandlungsreichen Gestaltens. Diese dialektische Verbindung von Exaktheit und ad libitum gibt dem Interpreten mannig-faltige Möglichkeiten zu gestalten, wobei sein Temperament, seine Musikalität, Erfahrungen, wie auch ein selbständiges und unkonventionelles Musikdenken von größter Bedeutung sind. Infolge all dessen erhält die Komposition die Chance, in ihrem eigenen Rahmen - wie ein lebender Organismus - immer wieder neu verwirklicht zu werden. N.B. (1974)

(Uraufführung: 1974 bei den 27. Internat. Kursen für Neue Musik in Darmstadt.)

Nikolai BADINSKI, geboren 1937 in Sofia, Bulgarien, kam 1962 nach Ost-Berlin, flüchtete 1976 von dort in den Westen. Er schrieb zahlreiche Orchester-, Kammermusik-, vokale, elektroakustische und Ballett-Werke. Einige von ihnen werden von Klangkörpern wie dem Berliner Philharmonischen Orchester, der Staatskapelle Berlin,dem Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden, Arditti String Quartet London, Philharmonischen Oktett Berlin, Chor des Radio France, Nederland Vocaal Ensemble Hilversum, Ensemble der Staatskapelle Dresden, der Camerata Academica Salzburg aufgeführt. Er erhielt mehrere bedeutende internationale Kompositionspreise, wie den Triest-Preis für Sinfonische Musik, die “Viotti“- und “Stockhausen“-Preise... wie auch den Rom-Preis. Er ist Mitglied der Europäischen Akademie der Künste, Wissenschaften und Literatur in Paris.

Große Persönlichkeiten des internationalen Musiklebens schätzen seine Musik. So bezeichnet György Ligeti sie als „sehr differenziert, in der Qualität sehr hoch stehend“ . Der ‚musikalische Papst‘ H.H. Stuckenschmidt lobte in der „FAZ“ die „unverkennbar persönliche Sprache“ seiner Musik und schrieb: „man ist gefesselt bis zum Schluss“ . Der bedeutende Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus schrieb, dass „bei Badinski sich eine wohlfundierte und vielseitige musikalische Ausbil-dung mit einem wachen Sinn für gegenwärtige Tendenzen verbindet; der Hang zum Experimentellen und ein ästhetisches Gewissen, das eine Verpflichtung zu struktureller Geschlossenheit empfindet, halten sich im Gleichgewicht.“

Maler in verschienen Ländern - wie J. C. Friedrich, Enzo Santini, I. Pawlov - haben Gemälden nach seiner Musik geschaffen. Über seine und nach seiner Musik sind Kunstfilme entstanden (z.B. im TV des SWF Baden-Baden).

Itzhak Tamir