1. 

Decipio Nr.1
für Kontrabass
6’26”
Klavieriada
2. 
 
11’01”
3. 
 
8’26”
4. 
 
4’42”
Decipio Nr.4 for Trombone
5. 
 
9’56”
Meditations on Words and Songs of Solomon
(Decipio Nr. 5 for Violin)
6. 
 
2’15”
7. 
 
2’45
8. 
 
2’34”
9. 
 
1’50”
10. 
 
1’22”
11. 
 
1’55”
12. 
 
2’10”
13. 
 
2’03”
14. 
 
3’30”
15. 
 
1’32”
16. 
 
1’34”
17. 
 
4’06”

 

The Multiplied Instrument
DCIPIOs for Double Bass, Piano, Trombone , Violin

 

AB 2248

(68’20”)

       1: Wolfgang Güttler, Kontrabass
  2 - 4: Massimiliano Damerini, Piano
           N.Badinski, Direction of sound
       5: Armin Rosin, Trombone
           VoiceClytus Gottwald, Voice
6 - 17: N. Badinski, Violin, Electronic Realisation
           and Direction of sound


(KONTRABASS) 4 - Decipio Nr. 1 für Kontrabass & Tonband (oder für 4 Kon-trabässe) - ist das erste Glied der Decipio-Kompositionsreihe (lat. Decipio = Täu-schung, Irreführung). Diese umfasst Kompositionen für jeweils ein Instrument. Das musikalische Geschehen vollzieht sich aber - ein Zuspieltonband miteinbeziehend - in mehreren simultan laufenden Stimmen des gleichen Instruments. Das Instrument wird multipliziert. In (Kontrabass) 4 verwende ich miteinander verwandte Strukturen, deren gemeinsame Behandlung in allen 4 Stimmen ich „Polifonie mobile“ (bewegliche Polyphonien) nenne. Durch Vergleichsstudien konnte ich vielfältige Auswirkungen verschiedener Musiksprachen und -kulturen - z.B. der türkischen, arabischen und indischen - auf die bulgarische und die gesamte Balkanmusik finden und eine vielschichtige Verschmelzung mit deren Urspezifikum feststellen. In vielen meiner Kompositionen arbeite ich mit winzigen Strukturen und Bauelementen dieser Folklore, die einer Stilisierung, Verfremdung und weiteren kompositorischen Verarbeitung unterzogen werden. N.B. (1976, für die Ursendung im WDR, Köln)

/ Beim 28. Internationalen Kompositionswettbewerb „Viotti“ 1977 in Vercelli, Italien errang (Kontrabass) 4 den ersten Platz. /

Die Kern-Gedanken, die die KLAVIERIADA (Konzert für Klavier und „Klavierorchester“ ) - Decipio Nr. 3 für Klavier & Tonband (oder für 5 Klaviere) - inspirierten und ihr Innerstes ausmachen, entspringen vielen Liedern und Hymnen im Psalter. Diese Gedanken werden jedoch nicht direkt durch Psalmentexte dargestellt, sondern, entsprechend der tief menschlich poetischen Aussage P. Eluards im Motto zu dieser Komposition, musikalisch reflektiert.

Paul Eluard : Tu es venue le feu s'est alors ranimé

L'ombre cédé le froid d'en bas s'est étoilé...

Tu es venue le solitude était vaincue

J'avais un guide sur la terre je savais

Me diriger je me savais démesuré

J'avances je gagnais de l'espace et du temps...

Les hommes sont faits pour s'entendre

Pour se comprendre pour s'aimer...

(Du bist gekom men das Feuer ist wieder aufgeflammt

Der Schatten ist gewichen die Kälte tief unten

Zersprang zu Sternen...

Du bist gekommen die Einsamkeit war besiegt

Ich hatte einen Führer auf der Erde ich wusste

Wohin mich wenden ich wusste mich maßlos

Ich ging vorwärts ich gewann Raum und Zeit...

Die Menschen sind gemacht sich zu hören

Sich zu verstehen sich zu lieben... )

In einer geistigen Haltung, wie wir sie etwa in dem von Hermann Hesse adaptierten biblischen Grundsatz „Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen“ finden können, um einen eigenen tiefen, umfassenden Glauben zu festigen, den Glauben an die Liebe überhaupt, habe ich hier nicht die Absicht, einem Text zu folgen in Form einer Wort-Musik-Beziehung. Ich strebe eine geistige Vertiefung durch die Wir­kung der rein instrumentalen Musik an. Dies wird verschiedentlich gestaltet in den energie- und kraftge­ladenen 1. und 3. Sätzen und in dem 2. Satz mit seinem meditativen Charakter, wo sich orientalische und Balkan-Elemente verflechten und verschmelzen. Unter den vielfältigen kompositorischen Aspekten ist hier besonders der Gleichlauf musikali-scher Strukturen zu nennen, welcher dem Parallelismus membrorum entspricht, jenem für die Psalmen charakteristischen Kunstmittel, und zwar Parallellauf in einer reichen Variabilität. Auch in „Klavieriada“ verwende ich die Mitte der 60en Jahre von mir eingeführten und so benannten „Mikrorhythmen“ . Von „Klavieriada“ gibt es auch eine Version für zwei Solo-Klaviere & Tonband - Decipio Nr. 3a .

N.B. (1978/9, für die Ursendung im SFB, Berlin)

/ Diese Komposition errang 1978 den ersten Platz beim 1. Internationalen Wett­bewerb für Komponisten „Stockhausen“ in Bergamo & Brescia, Italien, wo im glei­chen Jahr auch die Uraufführung mit dem Pianisten M. Damerini stattfand. /

 

DECIPIO Nr. 4 für Posaune & Tonband (oder für 5 Posaunen und Stimmen).

Wie in allen anderen Gliedern der Decipio-Reihe erfährt das Spiel des Instru­­­-mental­solisten auch hier eine Erweiterung und Mehrdimensionalisierung durch ein Zuspielband, worauf der Solist selbst vorher die übrigen Stimmen (Schich­­­ten) mit dem gleichen Instrument aufgenommen hat.

Die folgenden Worte von Lao-Tse sind in der Partitur der Komposition vorangestellt: wer andere kennt, ist klug

wer sich kennt, ist weise

wer andere bezwingt, ist kraftvoll

wer sich selbst bezwingt, unbezwingbar

wer sich zu begnügen weiß, ist reich

wer sich durchsetzt, willenstark

wer sein wesen nicht verliert, währt lange

wer dahingeht, ohne zu vergehen, lebt ewig

Ein Charakteristikum für Decipio Nr.4 ist der zusätzliche Einsatz der menschlichen Stimme. Das Phänomen des „Indischen“ hat mich bereits seit meiner Jugend stets tief berührt. Durch mit Worten schwerlich auszudrückende Empfindungen und Ahnungen habe ich mich als Europäer immer wieder hingezogen gefühlt, den indischen Philosophien näher zu kommen.

Das Atmen, ein zentraler Schwerpunkt in den Yogalehren, findet unter anderem in dieser Komposition eine vielfältige Verwendung und Transformation vom kraft-geballten Posaunenblasen bis zum kaum hörbaren menschlichen Atem und Hauch.

Die Sätze, die ich in Decipio 4 gleichzeitig in drei Sprachen verwende (Deutsch/Englisch/ Französisch; auch andere Sprachen können genommen werden):

Bereits in der Veda-Zeit war die Musik sehr beliebt.

Die Lehre vom Karma, von der transzendenten Macht des Tuns besagt, dass jede Handlung, jedes Wort, jeder Gedanke neben der sichtbaren Wirkung noch weitere, verborgene hervorbringt.

Die alten Brahmanen wussten, dass die Welt an sich ewig ist und sie sich beständig im Zustand der Veränderung befindet.

Die letzten Worte Buddhas (bevor er starb und ins Nirwana einging): „Vergänglich ist alles Gewordene. Strebet ohne Unterlass!“ N.B. (1978)

( Bei der Uraufführung der Fassung für fünf Posaunen und Stimmen während der Internationalen Kurse für neue Musik in Darmstadt am 14. 8. 1978 wurden die menschlichen Stimmen elektronisch bearbeitet; die französische Übersetzung ist von dem mit mir befreundeten französischen Komponisten Gérard Grisey, der es auch gesprochen hat. )

 

MEDITATIONEN über SALOMOS SPRÜCHE und LIEDER - Decipio Nr. 5 für Violine & imaginäres Orchester /Tonband/ (oder für x Violin-Instrumente) - sind als Folge einer intensiven Auseinandersetzung mit der Bibel und insbesondere mit dem Hohelied (hebr.: šîr hašîrîm = Lied der Lieder ; lat.: Canticum Canticorum ) entstanden.

Die Verselbständigung der Mittel bei Verfehlung der Zwecke in der Kunst entspricht der gleichen Erscheinung im Leben und führt hier wie dort zu Krisen. Vielleicht bedürfen die Menschen solcher Krisensituationen, um aufge­rüttelt und aufgewacht zu werden. Dem allgemeinen antihumanen Entwicklungsgang muss Widerstand entgegengesetzt werden, um wach und lebensfähig bleiben zu können. Der schöpferische Mensch - eigentlich, die Kreativität (wie das Denken auch) ist von Natur aus dem menschlichen Wesen immanent, ergo alle Menschen besitzen diese Fähigkeit - fühlt sich durch seine intensive Empfindungsfähigkeit ganz besonders zu diesem Widerstand berufen. Die Kunst verfügt über eine unendliche, stets erneuerungs- und wandlungsfähige Wirkungspalette, die das Innere des Menschen stark berühren und seine Fantasie, eine der wertvollsten Kräfte des Menschen, positiv aktivieren kann. Die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Neuen Musik und der Neuen Kunst kann effektiv dazu anregen, Toleranz und Aufge­schlossenheit anderen

Möglichkeiten und Meinungen, „dem Anderen“ gegenüber zu kultivie­ren. Heute gibt es leider wenig Zeit und Bereitschaft zum Nachdenken. Das Meditieren, das Gespräch mit sich selbst , das in tiefe Schichten des eigenen Ich s , bis hin in die Quelle unseres Urwissens hinführt und zum Entdecken und Erkennen des Göttli-chen im eigenen Wesen beitragen kann, könnte die Menschen von ihren Ketten befreien und sie zu einander bringen.

Die „Meditationen“ gehören - wie viele andere meiner Stücke - neben „Homage to Kafka“ und „Dostoyevsky Reflections“ zu den Realisationen von Traumvisionen . Durch die verschiedenen Ebenen des Nachdenkens und des Besinnens bilden sich unter­schiedliche Konstellationen, die man räumlich, holographisch wahr­nehmen kann - es entstehen, wie oft in meiner Musik, Klangräume bzw. Raumklänge. In diesem aus 12 kurzen Sätzen bestehenden Zyklus dient als Hauptelement im ersten Satz die kleine Sekunde, im zweiten die große, im dritten die kleine Terz, im vierten die große, im fünften die Quarte, im sechsten der Tritonus ( „Diabolus in Musica“ ), im siebenten die Quinte, im achten die kleine Sexte, im neunten die große, im zehnten die kleine Septime, im elften die große und schließlich im zwölften die Oktave. Allen zwölf Sätzen liegt eine Zwölftonreihe zugrunde. N.B. (1979/80)

( Uraufführung: 1988, Beethovenhalle Bonn. )